Followerzahlen interessieren Anna May nicht. Und doch hat sich die Zahl ebendieser auf ihrem Account inzwischen auf mehr als 20 000 summiert. Sie freut sich darüber. Allerdings nicht wegen des Algorithmus, sondern wegen der Reichweite. Ursprünglich richtete sie den Account 2020 ein, um Familie und Freunde über ihre Hausrenovierung zusammen mit ihrem Lebensgefährten auf dem Laufenden zu halten. „Ich hatte einfach keine Lust, jedem per Whatsapp zu schreiben“, erklärt die 31-Jährige und lacht. Denn aus dieser Idee hat sich inzwischen eine Art Mission entwickelt, die May genauso ambitioniert verfolgt, wie einst ihren Einstieg ins Berufsleben.

50 Bewerbungen, 50 Absagen
Nach dem Abi 2012 bewirbt sie sich auf rund 50 Ausbildungsstellen zur Zimmerin. „Dafür war ich extra mit meiner Mama unterwegs und habe die Unterlagen jeweils persönlich abgegeben. Ich dachte, es ist cooler, wenn man da Eigeninitiative zeigt,“ Gebracht hat es trotzdem nichts. Es hagelte reihenweise Absage. Manche Firmen begründeten das sogar mit Mays Geschlecht. Eine Frau wollte man scheinbar nicht im Betrieb haben. „Plan B wäre eine Ausbildung zur Schornsteinfegerin“, zählt die junge Frau auf, „Plan C dann ein Job in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung.“ In solch einer absolvierte May nach Abi und Absagen dann auch erst mal einen Bundesfreiwilligendienst; kurz Bufdi.
Die Arbeit gefiel ihr, doch der Wunsch ins Handwerk zu gehen, war stärker. Der Wille Mays auch. Über Freunde fand sie schließlich doch einen Ausbildungsplatz. Das Ankommen dort fiel ihr „leichter als gedacht“, denn der Betrieb bestand aus ihrem Chef und einem Altgesellen. Dieser nah sie von Anfang an unter seine Fittiche. „Wir waren ein Herz und eine Seele“, sagt May rückblickend und grinst.

Auf dem Weg zur Meisterin
Inzwischen hat die junge Zimmerin den Betrieb gewechselt. Ihrem Werdegang zur Meisterin zuliebe. Im Juni kommenden Jahres will sie dann auch damit durch sein. Dann tritt sie im Betrieb von Marcel Kröger in Bad Oeyenhausen offiziell ihre Meisterstelle an und ist sich bereits jetzt sicher: „Da wachse ich schon rein“.
Mit dieser Gelassenheit scheint die gebürtige Obernkirchnerin alles zu meistern. Sowohl schiefe Blicke auf der Baustelle als auch frauenfeindliche oder sexistische Kommentare auf ihrem Social-Media-Kanal. „Das ignoriere ich weg. Für mich ist das eine rein sachliche Ebene“, erklärt sie erstere Situation. Auf Instagram sei das nicht immer ganz so einfach. „Bei den ersten zehn Kommentaren lacht man noch darüber. Bei Nummer zehn bis 20 muss man es aushalten. Und danach setze ich einen klaren Punkt hinter die Sache.“ Auch ihre Community stehe hinter ihr. Das spornt May an. Sowie eine Nachricht, die sie recht schnell nach Gründung ihres Kanals erreichte.
Mir schrieb eine junge Frau, dass sie nur wegen mir eine Ausbildung beginnt. Da habe ich gedacht, dass ich es dann vielleicht auch schaffe, noch zwei oder drei Leute mehr zu motivieren.

Dachstühle baut sie am liebsten
Das hat sie – und ist inzwischen auch auf Messen unterwegs oder steht als Botschafterin ihrer Zunft in der Öffentlichkeit. „Das nahm alles so seinen Lauf“, meint May, „Ich verstehe Instagram bis heute nicht, sondern mache einfach meinen Turn. Während alle vom Algorithmus reden, weiß ich gar nicht, was das ist. Für eine Insta-Strategie habe ich auch keine Zeit und Lust.“
Viel lieber investiert sie ihre Zeit in ihren Beruf. Dachstühle baut sie am liebsten. „Wenn man auf die Baustelle kommt, steht da nur eine Mauer. Wenn man geht, steht da ein Haus.“ Das macht für May den Reiz am Zimmerer-Handwerk aus – und lässt sie auch im Feierabend nicht los. Mit ihrem Lebensgefährten renoviert sie das eingangs erwähnte Haus in Eigenleistung. Das Fachwerk in Kleinenbremen war bezugsfertig, Hof und Garten stemmte das Paar in Eigenleistung. Dazu natürlich Durchbrüche, Fenster und Wandgestaltungen. „Als Nächstes machen wir den Giebel und die Fassade neu“. Genau wie bei ihrem Bewerbungsmarathon, der zum Traumberuf führte, scheint es auch hier ein Motto zu geben. „So richtig fertig wird man nie.“


